Die Herlyns auf dem Uplewarder Grashaus

 

Uplewarder Grashaus

 

„ ... So genehmigen wir hiermit, dass bemeldetes Uplewarder Grass-Haus dem Philipp Herlin für das offerierte jährliche Locarium von 405,65 Rthl. auf 9 Jahre, von 1781 bis 1790, in Pacht verliehen werde..."

Berlin, den 11 ten July 1780
Von Gottes Gnaden Friedrich König von Preußen.

Aus den ursprünglich neun wurden insgesamt 184 Pachtjahre, in denen das Uplewarder Grashaus von den Herlyns bewirtschaftet wurde. Dieser lange Zeitraum, in dem 5 Generationen in ununterbrochener Folge auf Grashaus lebten, prägte wesentlich das Zusammengehörigkeitsgefühl und Traditionsbewusstsein innerhalb der Familie.

Wie schwer und entbehrungsreich jeder Anfang ist, musste der aus Visquard stammende Philipp Herlyn am eigenen Leib erfahren. Er übernahm nämlich das Gebäude und die 68,5 ha umfassenden Ländereien in völlig verwahrlostem Zustand. Zu allem Übel verdarben in den ersten Jahren durch Regen oder Mäuseplagen die Ernten, und so musste er die preußische Regierung zweimal um Pachtaufschub bitten.

In diesen Jahren gebar ihm seine Frau Geeske, geb. Ubben, drei Söhne, Philipp Philipps, Ubbe Claessen und Johannes Philipps, von denen Ubbe als Kleinkind starb. Nach dem sehr frühen Tode seiner Frau heiratete er zum zweiten Male: Frauke Meints gebar drei Söhne und zwei Töchter.

10 Jahre nach Pachtantritt hatte er's endlich geschafft: das Ackerland, das er auf zweidrittel der Gesamtfläche ausdehnen durfte, war gewühlt, d. h. tief umgegraben und brachte gute Ernten. Einsiebtel der Fläche blieb jährlich unbebaut, um als „Güstfalg" gründlich bearbeitet zu werden.

Philipp fühlte sich jetzt stark genug, mit der Regierung einen zähen Kleinkrieg über längerfristige Pachtverträge und Um- und Neubauten zu führen. Stieß er mit seinen Anträgen bei der Domänenkammer in Aurich auf wenig Gegenliebe, so wandte er sich direkt an Berlin - und brachte damit die Verwaltung in erhebliche Verwirrung.

Doch die Politik drohte seinen bescheidenen Wohlstand zu beenden. Napoleon hatte Europa überrannt und presste das Letzte aus seinen Eroberungen heraus, denn er brauchte immer mehr Geld für immer neue Kriege. Auch Ostfriesland blieb nicht verschont. Philipp sollte jetzt die doppelte Pacht zahlen. Doch er dachte nicht daran, im Gegenteil: Er zahlte 5 Jahre lang gar nichts. Dieser „Privatkrieg" wurde erst beendet, als Philipp im 70. Lebensjahr vom Heuboden stürzte und tödlich verletzt wurde. 5 Jahre, bis 1820, führte die Witwe den Hof gemeinsam mit Johannes Philipps Herlyn, ihrem zweitältesten Stiefsohn. Dann wurde Johannes allein verantwortlich für Grashaus. Er heiratete 1824 Ettje Jacobs Heeren, die ihm einen Sohn, Jacob Johannes, und 3 Töchter schenkte, von denen Jacob und Geeske die Kindheit überlebten.

Über das Wirken von Johannes auf Grashaus ist wenig bekannt. Er war ein milder und guter Mann, dem die Armen und Alten im Dorf viel Gutes verdankten. Manchen Weg zu den Arbeitern auf dem Feld konnte er sich sparen, heißt es, denn seine gewaltige Stimme schallte mühelos bis zum äußersten Ende der „Langen Acht". Nach seinem frühen Tode 1846 führte die fromme, aber sehr strenge Witwe Ettje den Hof, denn ihr einziger Sohn war damals erst 17 Jahre alt.

Jakob Johannes Herlyn „regierte" 53 Jahre lang auf Grashaus, von 1846-1899.

„Gras-Haus" - der Name bietet sich an für einen Hof, der ringsum von Weiden umgeben ist. Unklar ist, ob Grashaus als klösterliches Vorwerk, z. B. des Johanniterklosters Heiselhusen oder als herrschaftliches Vorwerk etwa des Häuptlings der Beningaburg in Upleward oder eines anderen „Fürsten" errichtet wurde. Mit seinen 65-70 ha gehörte es zu den „Großbetrieben" in der Krummhörn. (Die Uplewarder Feldmark umfasst ca. 500 ha Land, in das sich 9 Höfe unterschiedlicher Größe teilten. Da das Dorf 250-300 Einwohner zählte, musste z. B. Grashaus über 50 Menschen ernähren.)

Jakob Johannes war ein vielseitig begabter Mann. Richtete sich doch die Domänenkammer beim Neubau von Grashaus 1849 ganz nach den Plänen des 20 Jährigen. Das Vorderhaus bietet heute noch einen imposanten Anblick. Die solide Bauweise der Fenster z. B. haben wir als Jungen oft bewundert. Die schweren Fußbälle zerschlugen immer nur die Scheiben, nie die Rahmen. Noch nach über 100 Jahren tragen die hölzernen Dachböden gewaltige Getreidelasten.

Neben der mustergültigen Führung des Hofes nahm sich Jakob Johannes Zeit für Orgelspiel, Jagd, Klootschiessen oder Kirchen- und Gemeindeaufgaben.

Seine Frau Grietje, geb. Janssen, schenkte ihm 6 Söhne, Ulfert, Johannes, Sunke, Jakob, Folkeus, Jan und 3 Töchter Etje, Entke und Geeske.

Nach seinem Tode wurde 1899 Foelkeus Bauer auf Grashaus. Er behielt das „Zepter-" bis zu seinem Tode 1937 in der Hand. Aufgewachsen unter den strengen Wertmassstäben des 19. Jahrhunderts, versuchte Foelkeus Begriffe wie Gehorsam, Ordnung, Herrschaft, aber auch Gerechtigkeit und Güte in den unruhigen Zeiten des 1. Weltkrieges und der Weimarer Republik lebendig zu erhalten. Alte Arbeiter, die ich über meinen Großvater befragte, antworteten alle gleichsinnig: Er war hart, sehr hart, aber gerecht. Seine Frau Meemke, geb. Mentjes, gebar 3 Söhne, Jakob, Menno, Meenhard und 1 Tochter, Grietje. Mit aufopfernder Liebe hat Foelkeus seine kränkelnde Meemke bis zu ihrem Tode 1934 gepflegt.

Die Weltwirtschaftskrise machte nicht vor Grashaus halt, und es waren entbehrungsreiche Jahre zu überstehen. 1930 brannte der Wirtschaftsteil des Hofes nieder, mit dessen Neubau jedoch sofort begonnen wurde. Das heutige Grashaus besteht also mit dem Vorderteil seit 1849, mit dem Wirtschaftsteil seit 1930.

Ab 1933 folgten bessere Zeiten. Der „Erlöser" sorgte für seinen Nährstand. Doch Foelkeus brauchte nicht mehr zu erleben, dass alle drei Söhne und der Schwiegersohn in den Krieg ziehen mussten, aus dem Menno nicht mehr wiederkehren sollte.

Sein Nachfolger wurde der jüngste Sohn Meenhard, der ein Jahr zuvor, 1936, Gretchen Ockinga geheiratet hatte; dieser Ehe entsprossen 4 Söhne, Folkert, Hermann, Enno und Meenhard. Kennzeichnend für Meenhards Zeit als Bauer auf Grashaus war die frühzeitig betriebene Technisierung der Landwirtschaft. Sie begann vor dem Krieg mit einem Bulldog und einer Sichtmaschine und wurde in den 50er Jahren mit einem Mähdrescher und anderen Großmaschinen weitergeführt. Gleichzeitig erfolgte ein rapider Personalabbau. Wichtige Einnahmequelle und Steckenpferd blieb aber immer die florierende Viehzucht. Bedeutende Errungenschaft war die 1949 erbaute Schotterstrasse zur Kreisstrasse Campen- Upleward, die eine wesentliche Verkehrserleichterung für die Grashäuser darstellte.

1963 wurden von der Regierung die Weichen gestellt für die Auflösung der Domäne und ihre Umwandlung in eine Siedlung. Ca. 35 ha verblieben bei Grashaus und sollten nach 50 Jahren endgültig den Herlyns gehören. Dazu kam es nicht. Vater Meenhard musste 1965 nach schwerer Erkrankung den Hof aufgeben. Seine Söhne hatten inzwischen andere Berufe ergriffen.

Die Geschichte von Grashaus ist ein bedeutendes Kapitel in der Geschichte unserer Familie. Bedauern über den Verlust bedeutet nicht Verzicht auf Familientradition.

 

Stand: 1977
Autor: Meenhard F. Herlyn, jun.